Mein Redemanuskript für die Landtagsdebatte zu unserem Antrag „Europäische Union sozial gestalten — Säule sozialer Rechte (ESSR) durch den Freistaat umfassend stärken!“

Sehr geehrter Frau Präsi­dentin,

sehr geehrte Kol­legin­nen und Kol­le­gen,

in der Stel­lung­nahme des säch­sis­chen Europamin­is­ters zu unserem Antrag kom­men erst­mal 1,5 Seit­en Erk­lärung, warum Sach­sen, warum der Freis­taat, die Staat­sregierung nichts mit der Weit­er­en­twick­lung der sozialen Säule zu tun haben. Das finde ich schon erstaunlich. Zumal sich die Staat­sregierung sehr regelmäßig zur EU und ihren Grund­la­gen beken­nt. Europamin­is­ter ander­er Bun­deslän­der — z.B. Thürin­gen, Berlin, Bran­den­burg — schaf­fen es sehr wohl, sich dazu sehr klar zu posi­tion­ieren und auch die Län­derver­ant­wor­tung zu benen­nen.

„Sach­sen mit­ten in Europa“ — wird auch von der Regierung in hier Sach­sen gern gesagt — ist aber nach Ihrer Stel­lung­nahme eine hohle Phrase. 

Ihr sehr eige­nar­tiges Ver­ständ­nis von Sub­sidiar­ität und Stärkung der Wirtschaft haben für die Staat­sregierung das Pri­mat. 

Schlim­mer noch: Es wird Angst­mache betrieben, indem damit gedro­ht wird, dass bei Ein­führung von sozialen Min­dest­stan­dards wie Min­desteinkom­men oder auskömm­lichen Min­destlöh­nen in der EU die Mit­glied­staat­en über­forderten, 

dass sie einen weit­eren Schritt in Rich­tung Trans­fer­union vol­lzö­gen 

und iE mehr gemein­schaftliche Haf­tung für leis­tungss­chwächere Mit­glied­staat­en entste­hen wür­den. 

Ja, liebe CDU, was denn son­st? Es geht nur gemein­schaftlich und ja, Stärkere ste­hen für Schwächere ein. 

Dass die EU dadurch ges­pal­ten wer­den kön­nte, wie es weit­er heißt, ist ein nicht nachvol­lziehbar­er Gedanke. 

Im Gegen­teil, Men­schen wür­den weniger gegeneinan­der aus­ge­spielt, weil es nicht mehr um die bil­ligere Arbeit­skraft gehen würde. 

Mit­glied­staat­en, die weniger Indus­trie, weniger Wirtschaft­skraft haben, kön­nten sich darauf ver­lassen, dass ihnen das nicht zum Nachteil bis in alle Ewigkeit gere­icht. 

Wir prof­i­tieren mas­siv in dieser EU. Es stünde uns gut zu Gesicht, die anderen auch mitzunehmen. Das Ziel heisst Kon­ver­genz. Und zwar nach oben.

Auf­fäl­lig ist übri­gens auch, dass beson­ders die MdEPs der CDU aus Sach­sen z.B. der ersten Lesung der Verbesserun­gen der Richtlin­ie zur sozialen Koor­dinierung 883 und weit­eren sozialen Ini­tia­tiv­en ger­ade nicht zuges­timmt haben. 

Jet­zt sollen Sie, Herr Schenk, ja gar keinen Ein­fluss nehmen. Aber offen­sichtlich ist auch ihren Europaab­ge­ord­neten — also der CDU hier wie dort — die soziale Säule und die entsprechen­den Maß­nah­men ziem­lich egal. 

Mit ihrer abwim­mel­nden Stel­lung­nahme machen Sie sich hier schön nen schlanken Fuß nach der Meth­ode Franz-Josef Strauss und schieben die Ver­ant­wor­tung auf Berlin und Brüs­sel. Aber das lassen wir Ihnen nicht durchge­hen!

Wir fordern in unserem Antrag ja eigentlich auch nicht viel. 

Mehr Ein­satz der Staat­sregierung für die soziale Säule. 

Auf­nahme der Zahlen des sozialen Score­boards in den Sozial­re­port. 

Wir bit­ten um Infor­ma­tion, was die Staat­sregierung tut beim vorantreiben der sozialen Säule. 

Darum, dass das, was inner­halb der EU zur ESSR erar­beit­et wird, direk­ten Ein­fluss auf die Poli­tik hier im Freis­taat hat.

Und die soziale Säule ist ja nun wirk­lich kein Teufel­szeug. Es han­delt sich fak­tisch um die Unter­set­zung und Fortschrei­bung der EU-Grun­drechte-Char­ta, immer­hin einem Bestandteil des Liss­abon­ver­trages und damit des Primär­rechts dieser Europäis­chen Union. Dessen Bedeu­tung hat uns allen ja ger­ade wieder der EuGH in Sachen Arbeit­szeit­nach­weis vor Augen gehal­ten. Und genau da gehört die ESSR eigentlich auch hin, ins Primär­recht. 

Rechtsverbindlichkeit hin oder her — nach Absatz 17 der ESSR sind die Umset­zung der Ele­mente gemein­same Verpflich­tung und Ver­ant­wor­tung der EU und der Mit­glied­staat­en unter Beach­tung ihrer Struk­turen — in unserem Falle ein­er föderalen. Und da Sie die Sub­sidiar­ität ja so gerne mögen, liebe CDU, hier nur mal ein paar Beispiele, wo Sach­sen sich ein­brin­gen kön­nte, ja … unser­er Mei­n­ung nach sog­ar müsste: 

Was tut denn die Staat­sregierung, um endlich geset­zlich verpflich­t­end, bei allen(!) über­prüf­bar und straf­be­wehrt ungle­iche Löhne für gle­ich­w­er­tige Arbeit bei Män­nern und Frauen zu ver­bi­eten, wie es im Punkt 2 der ESSR und Art. 23 der GRCh for­muliert wird? Das Ent­gelt­trans­paren­zge­setz des Bun­des kann da ja wohl nicht das Ende der Fah­nen­stange sein. 

Wann wird denn endlich die Über­ar­beitung des säch­sis­chen Ver­gabege­set­zes ange­gan­gen, wie es in ihrem Koali­tionsver­trag vorge­se­hen ist, damit Tariftreue, die ILO-Kernar­beit­snor­men und ökol­o­gis­che Nach­haltigkeit verpflich­t­ende Bestandteile säch­sis­ch­er Auf­tragsver­gabe wer­den, wie es in Punkt 6 der ESSR angemah­nt wird? 2017 — wie ihr Koa-Ver­trag ver­spricht — ist ja nun lange vor­bei. Unseren Vorschlag dazu haben Sie ohne Not vor ein paar Wochen hier im Hause abgelehnt. 

Ihre Ini­tia­tive zur Anhebung der Min­destlöhne auf 12,68 € haben wir bes­timmt auch nur überse­hen, mit der Sie sich darum küm­mern, dass nie­mand in Sach­sen mehr arm in Arbeit ist und sich einen vernün­fti­gen Rente­nanspruch erar­beit­en kann.

Und — eine let­zter Gedanke — Wo bleiben denn ihre Tat­en 

für eine Pri­vatisierungs­bremse, 

für den Aus­bau des ÖPNV und der dig­i­tal­en Kom­mu­nika­tion, um Punkt 20 der ESSR mit Leben zu füllen und den Men­schen im Freis­taat den bezahlbaren Zugang zu Wass­er, Energie, Verkehr und Kom­mu­nika­tions­di­en­stleis­tun­gen zu garantieren? 

Alles eigentlich Ihre europäis­che Ver­ant­wor­tung, und alles in allem ein biss­chen wenig dafür, dass Sie sich hier alle als große Pro-Europäer feiern lassen. Wir hät­ten uns von der Staat­sregierung gewün­scht, ein wenig mutiger zu sein und zumin­d­est die kleinen Vorschläge unseres Antrages als einen Anfang anzunehmen.