DIE LINKE gestalten. Herausforderungen einer Mitgliederpartei. — ein Problemaufriss, ein Diskussionangebot, ein Aufschlag dessen, was wir tun müssen als LINKE

von Antje Feiks und Thomas Dudzak

Vor­weg: Dieses Papi­er erhebt wed­er Anspruch auf Voll­ständigkeit, noch will es die einzig gültige Antwort auf die Fra­gen der zukün­fti­gen Gestal­tung unser­er Partei sein. Es ist vielmehr ein Vorschlag und ein Diskus­sion­sange­bot. Es lebt – wie jedes Papi­er in ein­er plu­ral­is­tis­chen Partei – davon,  disku­tiert, gelobt, zerpflückt, in Teilen ver­wor­fen und wieder vol­lkom­men neu zusam­menge­set­zt zu wer­den. Das Papi­er ist unsere gedankliche Ergänzung zum Entwurf des Lei­tantrages an die 2. Tagung des 14. Lan­desparteitag der LINKEN Sach­sen, in dem entsprechende inhaltliche Vorschläge unter­bre­it­et wer­den.

DIE LINKE in Sach­sen hat sich seit der Parteineu­bil­dung 2007 stark verän­dert. Waren damals 13.280 Mit­glieder im Lan­desver­band organ­isiert, sind es heute rund 8.100 Genoss*innen im Freis­taat Sach­sen. Seit drei Jahren kön­nen wir, auch in Folge der zuge­spitzten poli­tis­chen Auseinan­der­set­zung im ganzen Land, Europa und der Welt, wieder deut­lich mehr Neu­mit­glieder begrüßen. Gle­ich­wohl kann der Zus­trom an Neu­mit­gliedern die Anzahl der – meist alters­be­d­ingt begrün­de­ten – Aus­tritte und Todes­fälle unter den Genoss*innen (noch) nicht aus­gle­ichen. Rund 2/3 der Neu­mit­glieder treten dabei in den Stadtver­bän­den – hier ins­beson­dere mit einem Fokus auf Leipzig – ein. Zwar prof­i­tieren auch die Kreisver­bände von den Neuein­trit­ten, doch fällt die Entwick­lung zwis­chen Stadt und Land­kreisen zuse­hends auseinan­der.

Wir haben als Partei stets den Anspruch gehabt, poli­tis­che Vertre­tung für ganz Sach­sen zu sein. Wir haben uns bewusst nicht darauf konzen­tri­ert, uns auf Regio­nen mit stärk­er­er Ver­ankerung und höheren Wahlergeb­nis­sen zu konzen­tri­eren, son­dern haben den Fokus darauf gelegt, als Lan­despartei beson­ders Regio­nen ins Auge zu fassen, in der die Ver­ankerung vor Ort abn­immt. Gle­ichzeit­ig haben wir ver­sucht, die Partei als Ort der Beteili­gung für unsere Mit­glieder – egal ob lange dabei oder ger­ade einge­treten – zu stärken.

So haben wir uns auf den Weg gemacht, ein neues Lan­desen­twick­lungskonzept als Nach­folge von ALEKSA zu erar­beit­en, um Antworten auf die Bedürfnisse der Men­schen in den säch­sis­chen Regio­nen zu find­en – im Bewusst­sein der Unter­schiedlichkeit der Aus­gangs­be­din­gun­gen vor Ort. Wir haben zen­trale Unter­stützungsstruk­turen für den ländlichen Raum geschaf­fen, sei es durch eine Unter­stützung der Kreis- und Ortsver­bände zur pro­fes­sionellen und unkom­plizierten Mate­ri­aler­stel­lung und – logis­tik, sei es durch Unter­stützung bei partei­in­ter­nen For­malien, sei es durch zen­trale Touren oder Plakatierungs- und Mate­ri­alverteilung­sun­ter­stützung in den Wahlkämpfen. Wir haben ver­sucht, Diskus­sions- und Aus­tauschräume auch für jene Genoss*innen zu schaf­fen, die eben noch nicht so tief in der Partei ver­net­zt und angekom­men sind, damit auch diese ihre Ideen ein­brin­gen kön­nen. Wir haben ver­sucht, Andock­stellen zu schaf­fen, in denen Genoss*innen, die einen erschw­erten Zugang zu klas­sis­chen Parteistruk­turen haben, sich trotz­dem am Partei- und Kam­pag­nen­leben beteili­gen kön­nen. Darunter fall­en unter anderem das Men­tor­ing­spro­gramm, Prak­ti­ka, der Tag der Mit­glieder und regionale Wahlkampf­schu­lun­gen. Und nicht zulet­zt haben wir die Mit­glieder­ar­beit qual­i­fiziert.

Die Partei im Jahr 2017 ist nicht mehr die Partei, die wir 2007 gebildet haben. Sie hat sich nicht nur in der Mit­glied­schaft, son­dern auch struk­turell, organ­isatorisch und inhaltlich gewan­delt. Gle­ichzeit­ig ste­hen wir vor großen Her­aus­forderun­gen, ger­ade im Hin­blick auf die Ergeb­nisse der Bun­destagswahl 2017. Auch in den Wahlergeb­nis­sen zeigt sich neben einem mas­siv­en gesellschaftlichen Recht­srutsch ein deut­lich­es Stadt-Land-Gefälle.

Dieses aber allein auf „Großs­tadt gegen den Rest“, ein ein­fach­es Schwarz und Weiß zu reduzieren, greift viel zu kurz. Vielmehr zeigt sich der Freis­taat in deut­lichen Graustufen, in der auch Mit­telzen­tren über­durch­schnit­tliche Ergeb­nisse pro­duziert haben. In einem „Speck­gür­tel“ der urba­nen Zen­tren kon­nte DIE LINKE dur­chaus prof­i­tieren, im anderen jedoch schnitt sie unter­durch­schnit­tlich ab. Im aktuell tief blau-schwarzen Land­kreis Bautzen ragen Hoy­er­swer­da und Kamenz deut­lich aus den son­sti­gen Ergeb­nis­sen her­aus.

Will man den­noch vere­in­fachen, lässt sich eine Faus­tregel fes­thal­ten: Je klein­er die Gemeinde, je geringer die quan­ti­ta­tive Ver­ankerung der Partei vor Ort, desto niedriger sind die Wahlergeb­nisse für die Partei ins­ge­samt. Daraus fol­gt die Notwendigkeit, die Partei im ganzen Land, für alle GenossIn­nen, Sym­pa­thisan­tInnen, Anhän­gerIn­nen und poten­tielle Wäh­lerIn­nen erleb- und gestalt­bar­er zu machen. Bis ins let­zte Dorf hinein.

Die Situation, in der wir uns befinden und vor der wir stehen

Wir wis­sen seit Jahren, dass der poli­tis­che Erfolg der Partei davon abhängt, ob wir den ländlichen Raum zurück­gewin­nen kön­nen. Ohne Zweifel zeigen die Kreis­struk­turen dabei größte Anstren­gun­gen. Die Lan­despartei hat diese Anstren­gun­gen im Rah­men von Wahlkämpfen unter­stützt. Das Bewusst­sein für die Her­aus­forderun­gen ist  also vor allem in den ländlichen Regio­nen in Sach­sen vorhan­den. Das Weg­sack­en der Partei im ländlichen Raum kon­nten und kön­nen wir jedoch bish­er nicht aufhal­ten.

Lei­der waren wir auch an Stellen nicht mutig genug, uns zu entschei­den, waren zu oft ver­haftet in der Angst, dass Verän­derun­gen von Struk­turen mehr Gefahren als Möglichkeit­en mit sich brin­gen kön­nten. Wir haben zarte Ver­suche ges­tartet, allerd­ings im Kollek­tiv kaum beschließ- und fol­glich mit Ressourcen unter­set­zbar. Radikale neue Ansätze wer­den in unser­er Partei zu oft von Einzel­nen statt von Struk­turen getra­gen. Eigentlich wis­sen und pos­tulieren wir doch aber immer: gemein­sam sind wir stärk­er. Bei der Entwick­lung von Ideen und beim Bere­it­stellen von finanziellen Mit­teln, beim Erar­beit­en neuer Ansätze, die im Kollek­tiv am Ende immer ein­fach­er und gün­stiger umset­zbar sind.

Unsere Fähigkeit zum sol­i­darischen Diskurs hat enorm gelit­ten. Wir beschäfti­gen uns oft­mals lieber mit Auseinan­der­set­zun­gen im eige­nen Schwarz-Weiß-Raster, denn mit der notwendi­gen inhaltlichen Auseinan­der­set­zung über eigene Gren­zen hin­weg. Die Zeit­en, in denen man im Vor­feld und auf Lan­desparteita­gen offene und kon­tro­verse Debat­ten mit Spaß und aus Überzeu­gung geführt hat, scheinen schon eine Weile vor­bei. Seit eini­gen Jahren wer­den immer wieder aus Debat­ten aus macht­poli­tis­chen Grün­den geführt.

Auch per­sön­liche Fehden, die nicht dem plu­ral­is­tis­chen Ansatz unser­er Partei entsprechen, haben das Kli­ma vergiftet. Wenn Siegen wollen zum Maßstab wird, tritt die poli­tis­che Auseinan­der­set­zung als Stre­it von Mei­n­un­gen um die beste Idee in den Hin­ter­grund. Eine Zusam­me­nar­beit – auch und ger­ade in der Sache – über organ­isierte Kreise hin­aus ist sel­ten verbindlich möglich. Die Behaup­tung, die Mehrheit der GenossIn­nen wür­den dieses oder jenes wollen, ist gern geführtes Argu­ment, aber bleibt im Kern nicht ver­i­fizier­bar.

Wir drin­gen gesellschaftlich zu wenig und mitunter nicht glaub­würdig mit unseren Inhal­ten durch. Zu sel­ten denken wir über die Bürger*innenzeitung, den Bürger*innenbrief oder die insti­tu­tion­al­isierte Ver­anstal­tung vor Ort hin­aus. Dabei bieten sich ger­ade jen­seits dieser Denkmuster Poten­tiale und – in gewiss­er Weise – die Geheimnisse der Stärke der Partei in der Ver­gan­gen­heit. Die alte Partei ist nicht deswe­gen stark gewor­den, hat sich nicht deshalb über die massen­medi­ale Igno­ranz hin­wegge­set­zt, ist nicht deshalb gewählt wor­den, weil wir so viele Zeitun­gen gesteckt haben. Es waren Genoss*innen vor Ort, die dies ermöglicht haben, indem sie die entsprechende Schlagkraft entwick­elt haben und vielfältig zu tausenden als Mul­ti­p­lika­toren unser­er Ideen unter­wegs waren.

Viele unser­er Genoss*innen heute dage­gen sind über­lastet. Kaum eine*r der Aktiv­en sitzt nicht in min­destens zwei Parteistruk­turen. Neben Beruf, inner­parteilichen Verpflich­tun­gen, kom­mu­nalen Man­dat­en auch noch in Vere­inen und Ini­tia­tiv­en unter­wegs zu sein, ist kaum leist­bar. Auch hier müssen wir uns ehrlich machen. Wir brauchen eine Diskus­sion um die Pri­or­itätenset­zung, eine Debat­te darüber, wer was macht und das auch objek­tiv kann. Das gegen­seit­ige Ver­lassen auf die Ebene darunter oder darüber bringt uns in eine Sack­gasse.

Klare Haltung in verständlicher Form statt Scheindebatten

Nicht nur im Vor­feld von Wahlen ist die erste Erwartung­shal­tung an die Partei eine Posi­tion­ierung zu möglichen real­is­tis­chen oder noch so unre­al­is­tis­chen Mach­top­tio­nen. Das Gespenst von Rot-Rot-Grün, bish­er angesichts der Über­ma­cht der säch­sis­chen CDU und der unklaren Hal­tung poten­tieller Bünd­nis­part­ner­In­nen reine Schimäre, denn tat­säch­liche Gestal­tung­sop­tion, müssen wir nicht auf Abruf disku­tieren. Eine Partei sollte vor allen Din­gen auf ihre eigene Stärke bedacht sein und nicht vorder­gründig in Bünd­nis­sen denken. Eigentlich ist das eine Bin­sen­weisheit.

Und den­noch: Ger­ade in Sach­sen, im Kern­land der recht­spop­ulis­tis­chen Auseinan­der­set­zung der let­zten Jahre, sind wir vor allen Din­gen erst ein­mal Hal­tungspartei. Man wählt uns nicht aus macht­poli­tis­chen Über­legun­gen, son­dern aus pro­gram­ma­tis­ch­er Überzeu­gung. Die Rolle als Protest­partei kann uns nach 27 Jahren im Par­la­ment, wenn auch in der Oppo­si­tion, mit Aus­nahme ein­er kurzen Renais­sance mit dem sozialen Protest gegen die Hartz-IV-Reform, schw­er zukom­men.

Ger­ade deshalb ist es für uns notwendig, nicht nur auf gesellschaftlichen, pro­gres­siv­en linken Protest zu hof­fen und an diesen anzuknüpfen. Wir müssen als „Überzeu­gungspartei“ auch konkrete linke Visio­nen anbi­eten, die anknüp­fungs­fähig an die Leben­sre­al­itäten der Men­schen in den unter­schiedlichen Regio­nen sind. Hier­bei gilt, dass je ein­fach­er, je näher eine solche Erzäh­lung, wie DIE LINKE das Leben der Men­schen in ihrem Umfeld konkret verbessern kann und will, an der Leben­sre­al­ität der Ange­sproch­enen ist, desto überzeu­gen­der wird sie sein. Nie­mand, der nach acht Stun­den von der Arbeit kommt, wird sich hin­set­zen, und dutzende Seit­en zu Renten- oder Steuerkonzep­tion der Partei lesen.

Wir müssen ler­nen, aus­ge­feilte und richtige Gedanken in ein ver­ständlich­es For­mat zu trans­ferieren und jedem Genossen und jed­er Genossin für die tägliche Argu­men­ta­tion, egal ob im Sportvere­in, beim Nach­barschaft­str­e­ff oder in der Bäck­er­schlange, zur Ver­fü­gung stellen.
Solche For­mate müssen nicht den Anspruch auf 100%ige Voll­ständigkeit erheben, müssen nicht jede Even­tu­al­ität abdeck­en, zu der wir gerne neigen, sie mitzu­denken. Sie darf nur nicht falsch sein. Dazu gehört auch das Eingeständ­nis, dass unsere Posi­tion als Oppo­si­tion­spartei in Sach­sen es uns eben nicht ermöglicht, dicke Bret­ter zu bohren und schnelle Lösun­gen für die Men­schen im Land anzu­bi­eten. Die oft geäußerte Ent­täuschung, man habe uns nun so oder so oft gewählt, geän­dert hät­ten wir aber am Ende auch nur nichts, resul­tiert hier aus einem falschen Bild unser­er Fähigkeit­en und unser­er Posi­tion im Parteien­sys­tem, das auch wir mit genährt haben.

Vielmehr müssen wir deshalb in den Mit­telpunkt stellen, dass wir uns in einem fortwähren­den Kampf gegen die beste­hen­den und von anderen gestal­teten Ver­hält­nisse befind­en, in dem wir gemein­sam mit den Men­schen um andere Mehrheit­en, um Hege­monie, um Druck gegen diese aus unser­er und ihrer Sicht falsche Poli­tik kämpfen. Es geht um nicht weniger als die Schaf­fung und Ver­stärkung eines linken Lebens­ge­fühls.

Innerparteiliche Demokratie stärken

DIE LINKE ist eine Partei mit basis­demokratis­chem Anspruch. Dage­gen ste­ht jedoch vielerorts gewach­sene – und in ihrer Funk­tion sin­nvolle – Partei­hier­ar­chie, die trotz ihrer Notwendigkeit die Zugänglichkeit der Partei für viele Genoss*innen und Sympathisant*innen erschw­ert. Während die einen mit parteilichen – zumeist ehre­namtlichen – Auf­gaben über­häuft sind, find­en andere keinen Zugang zur inhaltlichen und poli­tis­chen Beteili­gung in der Partei. Wir kön­nen auf gewisse Struk­turen als Partei nicht verzicht­en, da sie notwendig sind für die inner­parteiliche Organ­i­sa­tion. Daher muss es uns darum gehen, diese Struk­turen um Beteili­gungsmöglichkeit­en und Prozesse zu ergänzen, die möglichst viele Genoss*innen tat­säch­lich ein­bindet, ohne dass wir jet­zt sofort wieder große und unbe­wegliche Struk­tur­reform­prozesse ins Auge fassen müssen.

Dazu gehört der Aus­bau von Beteili­gungsmöglichkeit­en wie dezen­trale Ver­anstal­tungs­for­mate, Work­shops zu unseren The­men und Schw­er­punk­ten, als Res­o­nanzraum der Basis und als Ideen­pool für die Gesamt­partei. In der Diskus­sion­sphase des Bun­destagswahl­pro­gramms haben wir dies erprobt und soll­ten solche For­mate in Zukun­ft klein­teiliger und dezen­traler auch zwis­chen den Wahlen durch­führen.

Dazu gehört auch ein Aus­bau des Wis­senstrans­fers inner­halb der Partei. Inhaltliche wie organ­isatorische Wis­senshoheit­en müssen wir abbauen und in einem geeigneten Schu­lungsrah­men an mehr Genoss*innen weit­ergeben. Bei der inhaltlichen Weit­er­en­twick­lung der Pro­gram­matik der Partei dür­fen wir uns nicht weit­er vorhan­den­em Organ­i­sa­tion­swis­sen ver­schließen: In der Partei find­en wir viele Expert*innen für unter­schiedlich­ste The­men­bere­iche, die bish­er zu sel­ten in die Erar­beitung und For­ten­twick­lung unser­er Poli­tik ein­be­zo­gen wer­den. Wir soll­ten uns nicht davor scheuen, lose und kur­zlebige Denkw­erk­stät­ten für konkrete poli­tis­che Pro­jek­te aufzustellen und deren in einem offe­nen und für alle Wissensträger*innen – in und außer­halb der Partei – zugänglichen Prozess erar­beit­eten Ergeb­nisse in unsere Arbeit ein­fließen zu lassen. Damit erhöhen wir gle­ichzeit­ig die Durch­läs­sigkeit unser­er Struk­turen für engagierte GenossIn­nen der Basis.

Neben diesen Aspek­ten der notwendi­gen Öff­nung des inner­parteilichen Diskurs­es soll­ten wir auch bei der inner­parteilichen Entschei­dungs­find­ung ver­stärkt auf die Kom­pe­tenz unser­er Mit­glieder set­zen. Es spricht nichts dage­gen und ste­ht ein­er sich basis­demokratisch ver­ste­hen­den Partei gut an, wesentliche inhaltliche, organ­isatorische und per­son­elle Fra­gen in Mit­glieder­entschei­den und –befra­gun­gen zu klären. Hier­für müssen wir diese Mit­tel inner­parteilich­er Demokratie in unserem Lan­desver­band zum All­t­ag machen und Prozesse kreieren, wie wir diese in unserm täglichen Parteien­leben inte­gri­eren und leben wollen.

Nicht zulet­zt ste­ht die Partei vor der Auf­gabe, zahlre­iche neue Mit­glieder, aber auch Sympathisant*innen, die ohne Parteibuch an der poli­tis­chen Wil­lens­bil­dung in diesem Land mitwirken wollen, zu inte­gri­eren. Seit eini­gen Jahren ziehen wir hun­derte zumeist junge Men­schen im Land an, die sich aktiv als Mit­glied in die Partei ein­brin­gen wollen. Viele weit­ere Men­schen wollen sich für die Partei engagieren, ohne gle­ich Mit­glied zu wer­den.

Gle­ichzeit­ig sind die regionalen Struk­turen zur Inte­gra­tion und Betreu­ung von Mit­gliedern und Sympathisant*innen sehr unter­schiedlich aus­geprägt. Wir soll­ten daher neue Pro­jek­te wagen, wie wir über­re­gion­al, aber eben nicht zwin­gend zen­tral, diese Inte­gra­tion leis­ten kön­nen. Ein „Buddy“-Programm bspw., also eine Ver­mit­tlung von Neu­mit­gliedern und Sympathisant*innen an Genoss*innen, die an der Basis, in Ver­bän­den oder in LAGs engagiert sind, die the­ma­tis­che oder andere Inter­essenüber­schnei­dun­gen mit den „Neuen“ haben und let­ztlich nicht nur „zu Betreuende“, son­dern wirk­lich Mit­stre­i­t­erIn­nen in der Parteiar­beit suchen, wäre so ein Pro­jekt. Hier müssen wir Mit­tel und Wege find­en, wie wir so ein Pro­gramm vernün­ftig aufs Gleis stellen kön­nten. For­mate wie das Mentee-Pro­gramm, die Som­mer­akademie, Wahlkampf­work­shops oder der Tag der (Neu-) Mit­glieder soll­ten, auf bre­it­ere Basis gestellt, als organ­isatorisches Bil­dungs- und Inte­gra­tionspro­gramm in evaluiert­er und for­ten­twick­el­ter Form fort­ge­set­zt wer­den.

Bei inhaltlichen Debat­ten müssen wir die Hier­ar­chien zwis­chen Land, Bund und Kreisen wieder stim­mig gestal­ten. Als Lan­desver­band waren wir in eini­gen Bere­ichen in den let­zten Jahren zu zurück­hal­tend, was das Vorantreiben pro­gram­ma­tis­ch­er Debat­ten auf Bun­de­sebene anbe­langt. Aber auch in Sach­sen hat sich manch­er zu sehr auf die Lan­despartei ver­lassen, wenn im Rah­men von Antrags­de­bat­ten lediglich Kleinigkeit­en geän­dert wer­den, im Nach­gang jedoch möglichst bre­it   von eben jenen kri­tisiert wurde, der Lei­tantrag des Lan­desparteitages sei „sinn­los“ gewe­sen oder aber das Wahl­pro­gramm hätte ganz anders ausse­hen müssen.

Es gibt nur einen Weg, sich in inhaltliche Debat­ten einzubrin­gen, egal auf welch­er Ebene. Das ist das aktive Mit­gestal­ten. Das kostet Zeit und erfordert Kom­pro­miss­bere­itschaft, ist aber notwendig. Wenn eine Ebene auf Kon­sens set­zt, muss die andere Ebene treiben. Wenn eine Ebene zu weit vor­prescht, muss die jew­eils andere kor­rigieren. Nicht durch Pro­duzieren von diame­tralen Gegen­sätzen, son­dern schon bei der Begleitung der Prozesse und das in aller Sach­lichkeit. Dazu gehört auch die Akzep­tanz von Mehrheit­en und Min­der­heit­en. Der let­zte Bun­desparteitag hat bei der Debat­te zur „Repub­lik Europa“ deut­lich gezeigt, dass auch aus ein­er Min­der­heit­en­po­si­tion Diskurse angeschoben und kon­struk­tiv begleit­et wer­den kön­nen.

Solidarität zwischen Stadt und Land

DIE LINKE hat keine poli­tis­che Zukun­ft und keinen Gestal­tungsanspruch im Land, wenn sie sich auf die urba­nen Zen­tren allein konzen­tri­ert. Natür­lich müssen wir als Partei unsere Ver­ankerung dort stärken, wo wir bere­its stark sind. Das ste­ht jedoch nicht im Wider­spruch zur Stärkung auch und ger­ade schwächer­er ländlich­er Gebi­ete. Die Ergeb­nisse der Bun­destagswahl wie zuvor schon der Land­tagswahlen führen uns vor Augen, dass DIE LINKE mit ein­er erhe­blichen Schwäche im ländlichen Raum kon­fron­tiert ist. Dies resul­tiert auch aus der zunehmenden organ­isatorischen Schwäche der Kreisver­bände, welche die zunehmende Auf­gaben­last mit immer weniger GenossIn­nen weg­tra­gen müssen. Das ist nicht die Schuld der Kreisver­bände und hier muss man sie vor falschen Schuldzuweisun­gen in Schutz nehmen. Gle­ichzeit­ig wis­sen wir, dass wir in diesen Gebi­eten keine Genoss*innen, die vor Ort Präsenz zeigen und Auf­gaben übernehmen kön­nen, irgend­wie back­en kön­nten.

Ein Büro in der Fläche allein macht noch keine präsente Partei. Daher geht es darum, Las­ten anders und auf möglichst viele Schul­tern zu verteilen. Was wir mit zen­tralen Unter­stützungsange­boten im Wahlkampf aus­pro­biert haben, muss sich zu dauer­haften, auch dezen­tralen Koop­er­a­tio­nen zwis­chen Stadt und Fläche her­aus­bilden. Dabei ist zu beto­nen: Auf Augen­höhe! Denn ger­ade wenn wir sehen, dass im ländlichen Raum, auch in den Mit­telzen­tren, in den Städten in ehe­ma­li­gen Hochbur­gen Stim­men­po­ten­tiale abnehmen, also dort, wo wir in der Ver­gan­gen­heit einen Gut­teil unser­er Zus­tim­mung einge­fahren haben, dann ist dies ein Gebot der inner­parteilichen Sol­i­dar­ität.

 „Kampf um die Dörfer“

Wir müssen uns nichts vor­ma­chen: DIE LINKE war in kleineren Gemein­den im Freis­taat schon immer schwäch­er aufgestellt als in Städten und Großstädten, sieht man von eini­gen Aus­nah­men ab. Ein Beispiel: Unsere schlecht­esten Ergeb­nisse der Partei in den Zweit­stim­men zur Bun­destagswahl erre­icht­en wir mit deut­lich ein­stel­lig in kleinen Gemein­den des ländlichen Raums, in klas­sis­chen dör­flichen Struk­turen. Hier haben wir teil­weise noch ein­mal erhe­blich an Zus­tim­mung ver­loren. Allerd­ings, und das gehört zur Wahrheit dazu:  In solchen Gemein­den erziel­ten wir auch in der Ver­gan­gen­heit sehr häu­fig Ergeb­nisse knapp über oder unter der Zweis­tel­ligkeit weit jen­seits des Lan­dess­chnitts.

Dör­fliche Struk­turen funk­tion­ieren, noch ein­mal eine Bin­sen­weisheit, deut­lich anders als Großstädte oder urban­isierte Gemein­den. In kleinen Dör­fern ken­nt man sich, es gibt eine andere soziale Grund­lage der Inter­ak­tion, eine größere Sol­i­dar­ität miteinan­der, eine Ver­schworen­heit und nicht zulet­zt auch deshalb ein sich ähnel­ndes Wahlver­hal­ten. Es ist nicht ein­fach, in genau solche dör­flichen Struk­turen einzu­drin­gen und vor allen Din­gen durchzu­drin­gen. Das zeigt sich nicht zulet­zt daran, dass, selb­st wenn eine Fam­i­lie schon seit drei Gen­er­a­tio­nen in einem Dorf wohnt, sie zumeist weit­er als die Zuge­zo­ge­nen gel­ten. Eilig aus­gewiesene Neubausied­lun­gen Anfang der 90er wer­den in dör­flichen Struk­turen oft­mals als Fremd­kör­p­er wahrgenom­men. Gle­ichzeit­ig brechen genau dort Orte der Begeg­nung oder der Iden­ti­fika­tion mit der Gemeinde weg. Die Schule, die aus dem Dorf geht, der Bäck­er, der Einkauf­s­laden oder die Kneipe wer­den als ern­ste Ver­luste wahrgenom­men, die am Selb­st­be­wusst­sein dieser dör­flichen Struk­turen kratzen. Ist das Folge von lan­despoli­tis­chen Entschei­dun­gen oder – durch (Zwangs-) Einge­mein­dun­gen bspw. verur­sachte – kom­mu­nale Fremdbes­tim­mung, dann ent­fremdet das solche Gemein­schaften von diesen Insti­tu­tio­nen. Es lässt Groll auf diese wach­sen und eröffnet ein leicht­es Spiel für eben jene Kräfte, die für sich selb­st behaupten, nicht Teil des als aggres­siv und in den eige­nen Stolz hinein agieren­den staatlichen Kraft zu sein. Wenn diese dann noch ein­fache Lösun­gen anbi­eten, und seien es die vor Ort nicht exis­ten­ten Geflüchteten, die alles bekä­men, der Ort jedoch nicht ein­mal seinen Bäck­er hal­ten kann, hat linke Poli­tik kaum mehr Anknüp­fungspunk­te.

In Dor­fchem­nitz hat es nur eine einzige poli­tis­che Partei geschafft, sich öffentlich sicht­bar und ansprech­bar zu präsen­tieren: Die AfD mit ein­er Ver­anstal­tung in der lokalen Kneipe. Auch das bleibt in einem solchen Ort hän­gen und wird vielfach in dör­flichen Struk­turen mul­ti­pliziert.

Tra­di­tionell sind linken Parteien dör­fliche Umfelder fremd geblieben. Doch auch für diese Men­schen haben wir The­men, Ideen und Lösun­gen anzu­bi­eten. Anknüpfend an ihre Leben­sre­al­itäten. Diese zu ver­mit­teln – und zwar fernab insti­tu­tion­al­isiert­er Ver­anstal­tun­gen und Besuche – durch direk­te Kon­fronta­tion mit unser­er puren Exis­tenz, nicht zwin­gend mit vorge­fer­tigten Lösun­gen, aber mit einem offe­nen Ohr und auch der Bere­itschaft, Paroli zu bieten, wäre ein möglich­er Ansatz, um auch in diesen gesellschaftlichen Grup­pen wieder stattzufind­en.

Gesicht und Präsenz zeigen in der Dor­fkneipe, beim Bäck­er, beim Blu­men­händler usw. usf., den Leuten zuhören, aber nicht nach dem Munde reden kön­nen wir schaf­fen. Nicht die Kreis- und Ortsver­bände, nicht die ehre­namtlichen GenossIn­nen alleine. Hier kön­nte ein Fokus zukün­ftiger pro­fes­sioneller poli­tis­ch­er Arbeit vor Ort und im Wahlkreis liegen. Dies auszupro­bieren, zu exper­i­men­tieren und uns über die Erfahrun­gen auszu­tauschen sollte unser Anspruch sein.

Die Aufgabe, die vor uns steht

Wir müssen uns lei­der darauf ein­stellen, dass DIE LINKE keine kurzfristi­gen Optio­nen hat, um die struk­turellen Schwächen, die die Partei seit Jahrzehn­ten erlebt, die aber in den let­zten Jahren immer deut­lich­er zu Tage treten, been­den zu kön­nen. Unter den gegebe­nen gesellschaftlichen Ver­hält­nis­sen müssen wir auch zur Land­tagswahl 2019 erwarten, dass sich diese Entwick­lung vor­erst nicht völ­lig aufhal­ten lässt. Wir als LINKE brauchen einen lan­gen Atem.

Aber: wir kön­nen es anpack­en. Und zwar grund­sät­zlich. Und uns mit Mut dieser gewalti­gen Auf­gabe stellen. Wir sind aufgeschlossen für jede Idee, die diesen Weg verkürzt, die kurzfristig Erfolge ver­spricht. Wahrschein­lich müssen wir uns jedoch eher auf einen lan­gen und in Teilen schmerzhaften Anpas­sung­sprozess ein­stellen. Wer glaubt, wir kön­nten bin­nen zweier Jahre eine vol­lkommene Wende eines Prozess­es, der uns bere­its seit drei Jahrzehn­ten begleit­et, her­beiführen, erliegt einem Trugschluss. Wir haben einen weit­en Weg vor uns. Und wir müssen kämpfen!

DIE LINKE muss eine Partei sein, die mit ihren Mit­teln und hier vor Ort Werte und Posi­tio­nen der Sol­i­dar­ität, der Demokratie und des Human­is­mus in der Gesellschaft mehrheits­fähig macht. Das ist unsere Auf­gabe in den kom­menden Jahren. Es ist der Anspruch, den wir uns selb­st und unseren Wäh­lerIn­nen schuldig sind.